Das Wort zum Dienstag

Es gibt Kindheitsträume, die sich tatsächlich erfüllen - beinahe wenigstens. Diese Zeitung rückte über meine letzte Kolumne an dieser Stelle eine falsche Rubrik und erfüllte mir damit für kurze Zeit diesen Kindheitstraum - beinahe wenigstens. Der Traum damals (und jetzt wird es wie immer bei Träumen intim): Ich liebte meinen Vater und meinen Großvater und wollte entsprechend werden, was diese waren. Wie alle Söhne und Töchter, die ihre Elternteile lieben. Ich wollte hoch hinaus wie sie - nämlich auf eine Kanzel. Pastor werden wollte ich, und nichts schien mir schöner, angesehener und beschaulicher als dieses Amt, das mit dem Besitz von einer eigenen Kirche, einem eigenen Pfarrhaus mit Garten und wunderschönem Gemüseteil, der Schaukel und dem Hühnerhof verbunden war. Und jeden Sonntag sicher sein, daß mir die Menschen da unten ebenso stolz und andächtig zuhören werden, wie ich, wenn ich im Kindergottesdienst hockte und mir sagen konnte: Das ist mein Großvater da vorne. Aber alles lief anders. So ab 15 Jahre herum wandelt sich solcher Stolz in Zweifel, kippt die Andächtigkeit in Skepsis und der Apfel fiel zwar nicht immer ganz weit vom Stamm. Psychologie hat schließlich eine Wurzel gemein mit der Seelsorge - aber dennoch: Ich blieb unten auf dem Fußboden, schon weil ich enttäuscht erkannte, daß dies Leben oben auf der Kanzel keineswegs weniger Debatten und Hinterfragung erfordert als das von einem Schulkatheder oder Lehrstuhl aus. Und doch - da blieben in uns diese kleinen Wehmutsreste an den Kindheitstraum. Vorausgesetzt die Liebe bleibt zu den Personen von damals und damit den Dingen und Gedanken um sie herum und manchmal denkt das Kind in mir Mann: Wie wäre es, wenn Du wärest wie Vater und Großvater? Die schrieben nämlich jede Woche ihre Worte zum Sonntag - das machte damals immer nur ein Gottes-Spezialist im Kirchenkreis. Ich schreibe schließlich nur für den Alltag, genauer den Dienstag. Richtig andächtig wurde ich beim Nachsinnen, was mir diese versehentliche Amtsautorität durch den falschen Balken einbrachte: „Eine Beförderung von der harmlosen Kolumne Zu einem Wort“! „Worte" denken und sprechen eben nur Geistliche, Philosophen und Bundespräsidenten in der Neujahrsansprache lauter Würdenträger also.

16. Juli 1996